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Siliziumwasserstoffe: Renaissance einer verunglückten Entdeckung?
Peterchens Mondfahrt
Kontinuierliche Verbesserungen haben die Kosten für den
Nutzlasttransport ins Weltall so weit gesenkt, dass kleine Sonnenkraftwerke im niedrigen Erd-Orbit (siehe unter "Geostrategie") in die Nähe der Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit gelangt sind. Die großtechnische Energieerzeugung von "Space Solar Power" würde eine Revolution der Raumfahrttechnik erfordern. Eine offenbar zu Unrecht verworfene deutsche Entdeckung über die chemischen Eigenschaften von Siliziumwasserstoffen könnte dazu beitragen. Die Geschichte dieser Entdeckung und ihres Vergessens liest sich wie ein Wissenschaftskrimi.
Die Entwicklung kommerzieller Trägersysteme hat die Kosten für einen Weltraumstart erheblich gesenkt. Das SpaceShuttle der NASA, das 1981 erstmalig an den Start ging, verschlang noch etwa 1,5 Milliarden Dollar, um 27.500 kg in die niedrige Erdumlaufbahn (Low Earth Orbit, LEO, ca. 2 Km über der Erde) zu bringen. Das waren 54.500 Dollar/kg (in Preisen von 1981).
Die Falcon 9 von SpaceX – das ist das Weltraumunternehmen von Tesla-Gründer Elon Musk - wirbt aktuell mit Kosten von 62 Millionen Dollar für den Start von 22.800 kg zum LEO, also 2.720 Dollar/kg. Kontinuierliche Verbesserungen haben die Kosten für den Nutzlasttransport in den LEO innerhalb von rund 40 Jahren also mindestens um den Faktor 20 verbessert.
Je nachdem, welche Trägerrakete benutzt wird, ob neben materieller Nutzlast auch Astronauten befördert werden, welche Höhen erreicht werden sollen oder ob sogar der „Deep Space“ jenseits einer geostationären Umlaufbahn angesteuert wird, können die Kosten je Nutzlast aber auch heute noch bei 20.000, 50.000 oder gar 100.000 Dollar/kg liegen.
Technisch-betriebswirtschaftliche Studien zur „Solar Space Power“, an denen sich die interessierte Community bisher weitgehend orientiert, verlangen jedoch Preise von rund 200 Dollar/kg Nutzlast, um die „Weltraumenergie“ gegenüber der Sonnenergiegewinnung auf der Erde wirtschaftlich vorteilhaft zu machen. Man spricht von LCOE (Levelized Cost of Electricity) und vergleicht damit die Erzeugungskosten von einer Kilowatt-Stunde Strom aus Weltraumenergie mit den dem Kostenniveau herkömmlicher terrestrischer Energieproduktion oder mit einem gewünschten künftigen Preisziel. Die verfügbaren Angaben zu den Erzeugerkosten sind sehr unterschiedlich und differieren naturgemäß mit der jeweiligen Produktionstechnologie. So gibt es den Einzelfall eines Solarkraftwerks in der Wüste von Nevada, das angeblich einen Erzeugerpreis von rund 1,5 US-Cent (0,015 USD) realisiert. Im Durchschnitt kann man aktuell eher von 8 bis 10 US-Cent ausgehen.
Damit aber hat „Weltraumstrom“ bereits heute Konkurrenzfähigkeit erlangt, wie eine Studie der amerikanischen National Space Society (NSS) aus 2018 vorgerechnet hat. Ausgangspunkt ist ein von James C. Mankins im Jahr 2014 entwickeltes betriebswirtschaftliches Referenzmodell namens SPS-ALPHA = Solar Power Satellite via Arbitrarily Large Phased Array), das in 2017 überarbeitet wurde (SPS-ALPHA II). Das Basismodell soll eine Leistung von 1 GW (Gigawatt) haben, was etwa einem Nuklearkraftwerk gleichkommt. Davon ausgehend, dass der Nutzlast-transport die wesentliche Einflussgröße für die Erzeugerkosten eines Weltraumkraftwerks darstellen, argumentiert die NSS-Studie:
„Infolge der signifikanten Verringerung der durchschnittlichen Modulgröße, Masse und Kosten im Vergleich zu früheren SPS-Konzepten (einschließlich des ursprünglichen SPS-ALPHA) ist das aktualisierte Konzept viel weniger abhängig von "sehr geringen Kosten" ETO-Transport (ETO = Earth to Orbit; gemeint ist der Low Earth Orbit; LH) . Wie (eine hier nicht reproduzierte Grafik, L. H.) veranschaulicht steigt das gelieferte LCOE . . . erst dann über 10¢ pro Kilowattstunde, wenn die Kosten für den ETO-Transport über 5.000 $ pro Kilogramm steigen. Dies ist ein enormes Ergebnis. Es führt zu der Schlussfolgerung, dass bereits in Betrieb befindliche Trägerraketen (z.B. die Falcon 9 von SpaceX - zu einem Preis von 2.720 Dollar pro Kilogramm) jetzt verwendet werden könnten, um mit dem SPS-Einsatz zu beginnen. Und mit Fahrzeugen, die sich bereits in der Entwicklung befinden, könnten die SPS-ALPHA LCOEs unter 5¢ pro kW-Std. gesenkt werden. Zu diesen Fahrzeugen gehören der verbrauchbare Falcon Heavy - zu einem Preis von $1.650 pro kg für LEO (ab August 2016) - oder der teilweise wiederverwendbare Falcon 9 von SpaceX, eine LEO-Version des wiederverwendbaren Boosters von Blue Origin, das vollständig wiederverwendbare SKYLON-Konzept von Reaction Engines Ltd. oder andere). Um Kosten von unter 3¢ pro Kilowattstunde für den Basisfall zu realisieren, ist ein ETO-Transport zu weniger als 800-$1.000 Dollar erforderlich - weit entfernt von den häufig zitierten 200 Dollar pro Kilogramm."
Energie für alle
Die von der NSS 2017 erwartete Senkung der Nutzlastkosten ist in der erwarteten Größenordnung bisher nicht eingetreten. Zudem wird auch die Sonnenenergienutzung auf der Erde immer preiswerter, so dass der LCOE als Messlatte der Konkurrenzfähigkeit sinkt bzw. Solarkraftwerke auf der Erde weiterhin "naheliegender" sein würden. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme aus dem Jahr 2018 prognostiziert: „Bis 2035 können die Stromgestehungskosten von CSP (CSP = Concentrated Solar Power) auf Werte zwischen 5,75 €Cent/kWh und 6,93 €Cent/kWh sinken.“
Allerdings machen die Autoren die Einschränkung: „Bei CSP wird entscheidend sein, inwieweit die Installationen von CSP in den Märkten mit hoher Solarstrahlung in den kommenden Jahren vorangetrieben werden.“
Das Marktforschungsunternehmen ReportLinker hat im Januar 2020 eine
Vergleichsstudie für orbitale und terrestrische Sonnenenergieerzeugung veröffentlicht.
Ohne Zweifel bedarf es daher auch für das 1 GW-SPS-ALPHA II weiterhin erheblicher Kostensenkungen bei Weltraumtransportern. Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch in der Errichtung großtechnischer Anlagen ab 10 G (GW=Gigawatt). Eine Zielleistung von rund 20 TW elektrischer Energie bzw. 60 TW thermischer Energie (TW=TerraWatt) pro Jahr wäre die benötigte Energiemenge, um sogar jedem der bald 10 Milliarden Erdenbürger einen kostengünstigen pro-Kopf-Energiekonsum zu ermöglichen, wie er im Jahr 2000 auf einen EU-Europäer oder US-Amerikaner entfiel. Kostengünstig würde bedeuten: 0,01-0,04 USD (2001)/kWh). Dies entspricht dem Ziel des World Energy Council (WEC). Nach einer vergleichenden Studie, die dem WEC-Kongress 2001 vorgelegt wurde, bietet von allen damals auch nur denkbaren Formen der Energieerzeugung allein eine große lunare Sonnenenergieanlage die entsprechende klimafreundliche Möglichkeit dazu.
Wie aber nur könnten die dafür erforderlichen Kostensenkungen beim Materialtransport um mindestens den Faktor 10, eher um den Faktor 100 bis 500, erreicht werden?
Folgt man der NSS-Studie aus dem Jahr 2018, der die aktuellen Kosten-angaben zu Anfang dieses Textes entstammen, so haben bisher vor allem privatwirtschaftliche Managementmethoden zur Kosteneffizienz in der Raumfahrt beigetragen. In der Studie heißt es:
„Nach einem anfänglichen Rückgang zu Beginn des Raumfahrtzeitalters sind die Startkosten (in den westlichen Raumfahrtnationen) sehr hoch geblieben und bis vor kurzem relativ konstant. Hohe Startkosten waren der größte limitierende Faktor für die erweiterte Erforschung und Nutzung des Weltraums.
Als Ursache der hohen Startkosten wurden folgende Faktoren ermittelt:
1. Ziel: maximale Leistung und minimales Gewicht, ursprünglich von ballistischen Raketen
2. Höhere Kosten für Verbrauchsmaterial im Vergleich zu wiederverwendbaren Materialien
3. Hohe Kosten der bemannten Raumfahrt
4. Hohe Kosten für neue Technologie, Hardware und Software
5. Geringe Fehlertoleranz und daraus resultierend intensiver Konstruktions-aufwand und detaillierte Aufsicht
6. Hohe Systemkomplexität, Anzahl der Teile und Anzahl der Schnittstellen
Kommerzielle Trägerraketen sparten anfängliche Entwicklungskosten durch die Verwendung von (militärischen) Raketenkonstruktionen, aber Raketen sind für hohe Leistung, nicht minimale Kosten ausgelegt. Vergleicht man Raketen mit Flugzeugen, so scheint es, dass die Wiederverwendbarkeit der offensichtliche Weg ist, um die Kosten zu senken.“ Von dieser Prämisse geht gegenwärtig die Mehrzahl der Autoren aus, die sich mit der Wirtschaftlichkeit von Weltraumissionen beschäftigen. Aber das Beispiel des SpaceShuttles unterstützt diese Annahme nicht:
Wiederverwendbare Raketen haben höhere Entwicklungskosten und verringerte Nutzlast aufgrund der Notwendigkeit von Landetreibstoff. Die Falcon 9 von SpaceX ist wiederverwendbar und wurde wiederverwendet, aber die prognostizierten Kosteneinsparungen finden allenfalls künftig bei weiteren Flügen statt. Zudem zeigte sich, dass die Kosten der Wiederaufbereitung kaum geringer sind als ein Neubau. Die bemannte Raumfahrt verursacht zusätzliche Kosten für lebenserhaltende Systeme, höhere Zuverlässigkeit und die Anpassung an menschliche Mitfahrer. Auch die jüngsten Entwicklungen wie die Omega-Rakete von Nothern Grunman oder die gewaltige, wiederwendbare „New Glenn“ von Jeff Bezos Raumfahrtfirma Blue Origin scheinen die Nutzlastkosten der Falcon 9 kaum weiter zu unterbieten. Denn kommerzielle und militärische Nutzlasten sind teuer. Daher ist die Toleranz der Kunden für verfehlte Starts gering. Die Entwicklungs- und Produktionskosten steigen mit der Komplexität des Systems.
Die möglichen technischen Ansätze zur Senkung der Startkosten werden von den NSS-Fachleuten „wie folgt angegeben:
1. Vereinfachen Sie die Fahrzeugkonfiguration
2. Erhöhung der Fahrzeugproduktion und der Startraten
3. Nutzung von industriellem Design und modernen Produktionsmethoden (kultureller Wandel) für Herstellung und Betrieb
4. Optimierung für minimale Kosten
5. Verringern Sie die Anzahl der Teile
6. Einfachheit und Gestaltungsspielräume erhöhen
7. Reduzieren der Instrumentierung.“
Wie in der Vergangenheit ermöglichen diese Optimierungsstrategien kontinuierliche Verbesserungen. Nicht nur die USA, auch andere Raumfahrtnationen wie zum Beispiel Japan erzielten und erzielen damit Fortschritte.
Diskrete Japaner
Die japanische Weltraumbehörde JAXA hat 2013 zum ersten Mal mit der „Epsilon“ eine Trägerrakete ins All geschickt, die sich vor dem Start selbst überprüft. Statt 150 Ingenieure braucht JAXA nur noch acht Experten für die Startvorbereitungen, die nicht mehr sechs Wochen dauern, sondern nur noch eine Woche. Überflüssig ist auch ein teures Lagezentrum – für den Start der Epsilon reichten zwei Laptops. Das macht jeden Start einer Epsilon-Rakete kostengünstig. Aber auch die Entwicklung war vergleichsweise preiswert: Mit rund 30 Millionen Euro kostete diese Rakete nur ein Drittel der Entwicklungskosten des bisherigen japanischen „Flaggschiffs“ H2A. Allerdings kann die Epsilon auch nur maximal 1.200 Kg in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen.
Im Mai 2020 hat Japan fahrplanmäßig die weiterentwickelte Trägerrakete H3 gestartet. In der Minimalvariante soll die H3 4000 kg Nutzlast zu Kosten von 5 Milliarden Yen (= 46,6 Mio. USD à 11.650 USD/kg) in den LEO verfrachten können, die Maximalversion H3-24 kann angeblich 6.000 kg in den Transferorbit zum Mond bringen oder 28.300 Kg in den Low Earth Orbit. Damit wollen die Japaner Wettbewerbsgleichheit mit der Falcon 9 erreichen, - ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis schaffen aber auch sie wohl nicht.
Ambitionierter ist jedoch die Kombination mit dem wiederverwendbaren japanischen Raumgleiter HTV Kounotori (こうのとり, Kōnotori, "Weißer Storch"). Die seit 2016 verfolgten Pläne für einen ersten Start 2025 in den Deep Space sprechen von Nutzlasten im niedrigen zweistelligen Tonnen-Bereich, mit denen der Mond für den Aufbau einer japanischen Basis auf dem Erdtrabanten erreicht werden soll. Als die H3-Rakete im Mai 2020 zur ISS aufbrach, ging die Kounotori bereits erstmals „Huckepack“. Während Amerikaner und auch Chinesen meist einen ziemlichen Wirbel um ihre Raketenstarts machen, gehen die Japaner diskret und geräuschlos vor. Die europäische Öffentlichkeit nimmt jedenfalls kaum wahr, wie fortgeschritten die japanische Weltraumtechnologie bereits ist.
Doch auch ein Lastenträger wie der Weiße Storch wäre noch viel zu schwach, um eine große Sonnenenergieanlage auf dem Mond mit der benötigten Leistungsfähigkeit zu realisieren.
Nach den technischen Möglichkeiten des Jahres 2000 müsste -der bereits erwähnten WEC-Studie von Criswell zu Folge - für den 20 TW-Komplex über einen 70-jährigen Lebenszyklus der Anlage Material von schätzungsweise 455.000 Tonnen auf dem Erdtrabanten verbaut werden. Darin eingeschlossen wären die Kosten eines Mond-Habitats für 4.700 Bau- und Wartungsfachleute. Auch wenn dafür die Rohstoffe teilweise auf dem Mond selbst gewonnen würden (hierfür hat z. B. die ESA bereits Verfahren entwickelt) und die Bauteile leichter gemacht werden könnten, wären wohl mehrere tausend Raketenstarts erforderlich.
Immerhin aber soll in Kürze ein Anfang gemacht werden: Die NASA bereitet mit internationalen Partnern für 2024 den Aufbau einer bemannten Mondbasis vor, und auch einzelne Raumfahrtnationen wie insbesondere Japan haben mit ähnlichem Zeithorizont konkrete Pläne für eigene Mondstationen.
Bei der NSS-Analyse zu den Kostenfaktoren fällt auf, dass die Verbesserung der Triebwerke und schubstärkere Treibstoffe nicht explizit als „Stellschrauben“ benannt werden. Offenbar sind die Hoffnungen in dieser Richtung gering: Das gegenwärtig fortschrittlichste Raptor-Triebwerk der Falcon-Raketen von SpaceX nutzt zwar erstmalig Methan als Treibstoff, doch eine großartige Verbesserung ist damit nicht verbunden: eher handelt es sich um eine praktikable Variante, die im Vergleich mit herkömmlichen Triebwerk/Treibstoff-Kombinationen einen rundum guten Mittelwert liefert. Eine gut verständliche Beschreibung und Erklärung dazu bietet ein Video des Online-Magazins „Everyday Astronaut“. Auch Professor Dr. Michael Pfitzner vom Institut für Thermodynamik an der Bundeswehrhochschule München wusste auf Nachfrage bislang keine bessere Treibstoff-Alternative als Methan zu nennen.
Doch das war „bislang“. Jetzt interessiert sich Professor Pfitzner für ein neues Forschungsvorhaben zu einem möglicherweise revolutionärem Treibstoff- und Triebwerkskonzept. Die Geschichte dazu ist ein wahrer Wissenschaftskrimi, in dessen vorläufig letztem Kapitel der Autor dieses Aufsatzes eine kleine Rolle spielen darf:
Foto: NASA, Kennedy-Space Center; lizenzfrei auf Pixabay
Eine verhängnisvolle Veröffentlichung
Der 11. November des Jahres 2000 war der zweitschwärzeste Tag in der Geschichte des Nachrichtenmagazins STERNS. Zuvor hatte sich die Redaktion mit gefälschten Hitlertagebüchern schon einmal bis auf die Knochen blamiert. Die Titelstory jenes Tages mit dem reißerischen Titel „Sensationelle Entdeckung: SAND – DAS ÖL DER ZUKUNFT – Wie ein deutscher Wissenschaftler die Lösung unserer Energieprobleme fand“ entpuppte sich als ein weiterer journalistischer GAU. In dem Artikel behauptete Professor Dr. Norbert Auner, damals Ordinarius am Fachbereich Chemie der Goethe-Universität Frankfurt: >>Autos könnten vielleicht schon übermorgen von Keramikmotoren oder Strahlturbinen angetrieben werden, aus denen nicht Abgase quellen, sondern Sand.<<
Ausgangspunkt dieser ungewöhnlichen Idee war die Herstellung von langkettigen Silizium-Wasserstoffverbindungen, sogenannten Silanen. Diese chemischen Verbindungen ähneln den Kohlenwasserstoffen, auf denen unsere bekannten Brennstoffe wie Öl und Benzin bestehen. Im Prinzip sind in den Silanen die Kohlenstoffatome (chemisches Zeichen: C) durch Siliziumatome (Si) ersetzt. Allerdings: Langkettige Silane galten bis dato als technisch nicht herstellbar, als flüchtig und als hochexplosiv. Jedenfalls treffen diese explosiven Eigenschaften auf die „niedrigen“ Siliziumwasserstoffverbindungen mit nur wenigen, d.h. maximal drei Siliziumatomen zu. Auner war es angeblich gelungen, fünf Milliliter des „höheren“ Cyclopentasilans Si5H12 zu produzieren und am Fraunhofer Institut für Chemische Technologie ICT auf die thermischen Eigenschaften bei der Verbrennung mit Sauerstoff testen zu lassen. Auner zufolge würde dabei das beteiligte Silizium durch eine Reaktion mit Kupferdioxid nicht nur Sauerstoff aus der Luft verbrennen, sondern auch eine sehr stark exotherme (Hitze entwickelnde) Reaktion mit Luftstickstoff ermöglichen. In dem STERN-Artikel hieß es weiter: >>Kraftwerke zum Verheizen von Silizium müssten allerdings erst noch entwickelt werden. Die meiste Energie würde bei einer Verbrennung mit reinem Sauerstoff frei. Trotzdem setzt Auner mehr auf die Reaktion mit Stickstoff. Denn dabei entsteht neben der Wärme eine Reihe von wirtschaftlich wertvollen Produkten. Der Chemiker: "Mit Stickstoff machen wir ökonomisch gesehen aus Sand Gold."<<
Eher beiläufig erwähnte der STERN-Artikel einen „Chemiker an der Kölner Universität“ namens Peter Plichta, der angeblich in den 1950er Jahren erste erfolgreiche Versuche mit der Silanherstellung gemacht hatte. Dessen Ideen für neuartige Treibstoffe, Motoren und Raketentriebwerke seien aber vom damaligen Forschungsminister Rüttgers abgewiesen worden, nachdem Plichta „nur Formeln auf dem Papier vorweisen konnte“. Seither habe sich der Chemiker der Mathematik zugewandt. Als eigentlicher Erfinder der Silanchemie wurde hingegen Professor Auer gefeiert, „der inzwischen etliche Patente angemeldet hat.“
Tatsächlich hatte Plichta durch nahezu alchemistische Laborarbeit im Jahr 1968 zusammen mit dem Chemiker Rolf Guillery erstmals ein Gemisch höherer Silane erzeugen können, aus denen sich kleine Mengen von stabilen, ölartigen Penta- Hexa-, Hepta – und Oktasilan abtrennen ließen. In dem Bemühen, Laborkapazitäten für die Gewinnung dieser Stoffe in größerem Maßstab zu nutzen, hatte sich Plichta um das Jahr 1997 herum an den Hochschulprofessor Auner gewandt, der als Fachmann für Siliziumchemie galt und auch Verbindungen zur Großindustrie besaß. Reines Silizium sowie verschiedenste Siliziumverbindungen, gleichwohl nicht die in Rede stehenden höheren Silane, waren für industrielle Anwendungen in der Halbleiterherstellung, die Nanotechnologie, für Schmierstoffe, Dichtungen und zahlreiche weitere Verwendungen nämlich seit Langem in Gebrauch. Populär ist das Silicon für die Schönheitschirugie. Auner jedenfalls proklamierte, ein eigenes Herstellungsverfahren für Silane erfunden zu haben. Dafür benötigte er elementares (reines) Silizium, das technisch zunächst bei rund 2000 Grad Celsius aus Sand (Quarzsand SiO2) gewonnen wird.
Eine falsche Erfindung
Schnell jedoch gab es an dem STERN-Artikel Kritik aus der Fachwelt, die sich anfänglich vor allem auf die Frage richtete, ob die bis dato energieintensive Herstellung von reinem Silizium als Ausgangspunkt zur weiteren Gewinnung von Siliziumwasserstoffen überhaupt ein energetischer Prozess sei, der am Ende eine zusätzliche Energieausbeute liefern könne. Das teure Verfahren der Siliziumproduktion stellte die Wirtschaftlichkeit und somit die Brauchbarkeit der Silane als Energieträger gänzlich in Frage. Hinzu kam die Erkenntnis, dass es zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich war, selbst wenn reines Silizium als Ausgangsmaterial vorhanden wäre, überhaupt höhere Silane in größerer Menge als nur wenigen Millilitern zu synthetisieren. Weder Auner noch Plichta konnten zur damaligen Zeit alternative industrielle Herstellungs-wege für Silane aufzeigen, die ohne reines Silizium eine relevante Ausbeute ergeben würden. Erneut wurde der STERN damit der unreflektierten Großmäuligkeit überführt.
Gleichermaßen vernichtend war der Einwand des Chemikers Plichta, dass Auners Verfahren zur Stickstoffverbrennung überhaupt nicht funktioniere und „dass der Chemiker Auner etwas Grundlegendes nicht verstanden hat.“ … „Der Sterntitelbericht vom 09.11.2000, von Auner selbst endgültig lektoriert, grenzt chemisch an eine Erfindung aus einem Tollhaus“, schrieb Pflichta auf seiner Webseite. Auch andere Chemiker äußerten in öffentlichen Kommentaren ähnliche Zweifel.
Plichtas Kritik sollte aber nicht dahingehend verstanden werden, dass die energiereiche Stickstoffverbrennung nicht möglich sei, sondern nur, dass sie chemieverfahrenstechnisch auf anderem Wege bewerkstelligt wird und sogar weitaus höhere Energien freisetzt als Auner auch nur ahnen würde. Ein Jahr nach dem Erscheinen des STERN-Berichts veröffentlichte Plichta ein eigenes Buch mit dem leider ebenfalls unpassenden Titel „Benzin aus Sand“. Dort beschrieb er detailliert und in einem autobiografischen Stil die Verwicklungen, wodurch Professor Auner zu einem unverständigen Plagiator seiner eigenen Erfindungen geworden sei. Zwischen Auner und Plichta brach ein erbitterter Streit über die Patentierung aus, sowohl bezüglich der Herstellung von höheren Silanen als auch über Ablauf und Anwendung einer Verbrennung mit Sauerstoff und Stickstoff. Tatsächlich musste Auner schließlich seine Silan- Patentanmeldungen wieder zurückziehen, vor allem, weil diese letztlich tatsächlich nicht funktionierten.
Auf Peter Plichtas Webseite ist heute dazu weiter zu lesen:
>>(Ich) hatte inzwischen mit dem Oberassistenten Dr. habil. Kornath an der Universität Dortmund die drei Stufen zur Herstellung von Cyclopentasilan nach Auners Vorschrift präparativ wiederholt und filmen lassen. Dabei war es gelungen nachzuweisen, dass in der Hauptsache nur Phenylcyclopentasilan entsteht. Damit war bewiesen, dass die Ergebnisse (auch am ICT) durch Prof. Auner alle falsch waren. …. (Dies führte dazu), dass die feinste Zeitschrift für Chemie „Zeitschrift für angewandte Chemie“ eine Buchbesprechung veröffentlichte und die Deutsche Forschungsgemeinschaft Prof. Auner die Forschungsmittel strich. Dadurch war aber närrischerweise das einmal aufgeflackerte Interesse für die Stickstoff-Verbrennung wieder erloschen. Lediglich der wissenschaftliche Leiter des WDR's Jean Pütz nahm sich der Sache an, und es kam im Januar 2002 in der Sendung „Dschungel“ zu einem 25 minütigen Report über den Chemiker Plichta und die Verwendung der Silane in der zukünftigen Luft- und Raumfahrt.<<
Und an dieser Stelle kommt der Autor dieses Aufsatzes erstmalig ins Spiel.
In der K1F Knowledge One Fonds AG, die den weltweit ersten Investmentfonds für die Investition in „Wissen“ als Asset-Manager betreute, war ich zur damaligen Zeit für die Kommunikation mit Kapitalanlegern verantwortlich. Hierfür war ich ständig auf der Suche nach „guten Geschichten“, insbesondere aus dem Wissens-Bereich der Patentproduktion, denn inzwischen hatte die K1F AG um das Jahr 2003/2004 herum auch ein Verfahren zur computerbasierten „automatischen“ Patentbewertung erfunden. Mit einigem Zeitverzug wurde ich daher in 2004 auf den WDR-Bericht aufmerksam. Die Perspektive neuer chemischer Treibstoffe schien verlockend, gleichwohl blieb die gesamte Auner-Plichta-Story für außenstehende Laien verwirrend, unverständlich und letztlich nicht zu beurteilen. Ich legte daher dieses Thema für mich recht schnell gedanklich beiseite.
"Summa cum laude" für die Silane
Eine Information aber blieb mir in Erinnerung: Dr. Plichta hatte einen wissenschaftlichen Assistenten namens Bernhard Hidding. Dieser war nach der Zusammenarbeit mit Peter Plichta an die Bundeswehruniversität München gewechselt und hatte dort sowie gleichzeitig an der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf im Jahr 2004 eine Diplomarbeit eingereicht. Sie trug den Titel „Untersuchung der Eignung von Silanen als Treibstoffe in der Luft- und Raumfahrt“. Gutachter waren Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Michael Pfitzner (UniBwMünchen) und Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Detlef Reiter (HHUDüsseldorf). Sie bewerteten die Arbeit mit „Summa cum Laude“, also der akademischen Bestnote. Die Arbeit kam zu dem Ergebnis: >>(Insgesamt könnten die Silane) im Sinne von NASA etc. einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Verbrennungseffizienz leisten.“
Als ich ab 2011 beim Hamburger Wirtschaftsrat die Leitung der Landesfachkommission „Wachstum und Innovation“ antrat (bis Ende 2013) und die Projekte zur Sonnenergie aus dem Weltraum in meinen Blick gerieten, erinnerte ich mich vage an Hiddings Diplomarbeit und suchte den Kontakt zu ihm. Aus dem jungen Diplomanden war ein anerkannter Wissenschaftler geworden, der zwischenzeitlich sogar einen DFG-Sonderforschungsbereich für Solarzellenforschung leitete. Auch zu Professor Dr. Pfitzner von der Bundeswehruniversität gelang mir eine Verbindung. Meine damalige Fragestellung war recht allgemein und typisch journalistisch: „Ist denn nun an den wundersamen Möglichkeiten der Silanchemie etwas dran oder nicht?“ Einer meiner besten Freunde ist der Chemieverfahrensingenieur Bernd Neumann. Auch ihm legte ich diese Frage vor, zusammen mit allerdings noch recht spärlichen wissenschaftlichen Informationen. Die damaligen Recherchen führten zu folgenden Erkenntnissen:
1.) Der Misserfolg der revolutionär erscheinenden Silan-Chemie dürfte zu einem nicht geringen Teil der Person des Dr. Plichta zuzuschreiben sein.
Obwohl er tatsächlich der eigentliche Entdecker der Eigenschaften höherer Verbindungen der Siliziumwasserstoffe ist, beschrieben die Kontaktpartner, die Dr. Plichta persönlich kannten, ihn als eine Persönlichkeit, die - ich möchte es einmal vorsichtig ausdrücken – im menschlichen Umgang schwierig sei. Es verwundert daher nicht, dass der geniale Plichta quasi im Hintergrund zwar wettern konnte: „Professor Auner ist ein Plagiator, und zudem ein noch falscher!“, doch dass ihm einfach niemand zuhören mochte.
2.) Plichtas revolutionäre Chemie fand vor allem bei Esoterikern verschiedenster Färbung rasche Zustimmung und öffentlichen Applaus. Das erschwerte es seriösen Wissenschaftlern, sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen, ohne den eigenen Ruf zu beschädigen.
3.) Hinzu kam, dass Plichta sein Buch „Benzin aus Sand“ weitgehend autobiographisch angelegt hat. Das macht die Geschichte der Silanforschung für den Leser zwar gut nachvollziehbar, entspricht aber nicht dem Stil, den Wissenschaftler schätzen. Dabei vermengt Plichta das Silan-Thema mit anderen Erfindungen wie einem neuartigen Weltraumkreuzer oder der mathematischen Zahlentheorie, die sogar Albert Einsteins physikalische Erkenntnisse von Raum und Zeit in Frage stellen. So mag Dr. Peter Plichta, der sein umfangreiches Wissen durch zahlreiche akademische Abschlüsse unter Beweis gestellt hat, einer der wenigen Universalgelehrten unserer Zeit sein. Doch in seinem Buch feiert er das eigene Genie allzu oft und allzu überschwänglich, als dass es ihm wirklich eine interessierte, dankbare Leserschaft eintragen konnte. So erging es Plichta wie vielen visionären Entdeckern und Erfindern: zahlreiche Kommentare titulierten ihn schlicht als „Spinner“. Wer vorschnell in diesen Chor einstimmen mag, sollte sich an die Reaktion Napoleons erinnern, als ihm die Erfindung des Dampfschiffs vorgestellt wurde: „Man möge mich mit dem Unsinn verschonen, dass ein Schiff schneller vorankäme, wenn unter Deck ein Feuer entzündet wird.“
4.) Ausgehend von Bernhard Hiddings Diplomarbeit gab es an der Bundes-wehruniversität und wohl auch an der im Bereich der Raketentechnik renommierten Universität Stuttgart durchaus Interesse an Silanen als Raketentreibstoffe. Dieses Interesse vertröpfelte aber mit der Zeit einfach. Prof. Pfitzner hielt zwar mit Bernd Hidding zusammen noch mehrere Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen, aber auch ihr Interesse erlahmte schließlich. Aus heutiger Sicht lässt sich hinzufügen, dass es für eine intensivere Forschung wohl vor allem an der tatsäch-lichen Verfügbarkeit von höheren Silanen mangelte, denn niemand kannte ein (ökonomisch) machbares Herstellungsverfahren. So blieben die Forschungen rein theoretisch.
5.) Zwar erschien das Thema manchem Experten „grundsätzlich interessant“, doch sei noch viel weitere Forschung nötig. In Ermangelung zahlender Auftraggeber und anderer eigener Aufgaben bedeutete dies für meine Gesprächspartner: „Ich werde mich jedenfalls nicht weiter darum kümmern.“
Ein glückloser Entdecker
Seit meiner damaligen Beschäftigung mit dieser ungewöhnlichen Story sind bald zehn Jahre vergangen. Dr. Plichta hat sein Buch „Benzin aus Sand“ sogar vor fast zwanzig Jahren veröffentlich und seither keine Neuauflage publiziert.
Angesichts der Bedeutung der „Weltraumenergie“ habe ich mich jüngst mit den Silanen in der Perspektive als neuartige Treibstoffe erneut befasst. Erst jetzt auch beschaffte ich mir Peter Plichtas Buch über „Benzin aus Sand“, das mir die Zusammenhänge des unglückseligen Streits zwischen Dr. Plichta und Prof. Dr. Auner verständlicher machte. Es ist nicht das erste Mal in der Wissenschaftsgeschichte, dass Auseinander-setzungen über die Urheberschaft einer Entdeckung die Erfindung beinahe untergehen ließ. Legendär ist etwa der verzweifelte Kampf des Erfinders Charles Goodyear gegen einen Patentplagiator, der Goodyear dermaßen verarmen ließ, dass er noch nicht einmal die Beerdigung seines Kindes bezahlen konnte. Ohne Goodyears beharrlichen Kampf um seine Erfindung gäbe es kein vulkanisiertes Gummi und somit heute keine Autoreifen.
Auch in Plichtas Fall lässt sich sagen: „Erst hatte er kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu. Als Dr. Plichta um das Jahr 2000 herum durch emsige Tüftelei endlich einen funktionierenden Syntheseweg zu großtechnischer Silanproduktion ohne den Umweg über reines Silizium gefunden hatte, zogen sich interessierte Investoren für eine Silanfabrik wegen des Patentstreits mit Auner wieder zurück.
Plichtas Patent wurde schließlich angemeldet als „Verfahren zur Herstellung von höheren Silanen im Hinblick auf ihre Verwendung als Treibstoff (Großsynthese über abgeändertes Müller-Rochow-Verfahren)", PCT: DE 91/03764, Anmeldetag: 01.12.2000“. Am 01. 09. 2006 folgte die Anmeldung eines Patents über „Drucksynthesen von Höheren Silanen“,
AZ 10 2006 041 605.8 .
Nun, Patentanmeldungen sind eines, deren tatsächliche Erteilung, Anwendung und Herstellung der Chemikalien aber eine andere Sache. Wurden inzwischen irgendwo auf der Welt Silanöle in erzeugt? Und was hat es dann mit der von Dr. Plichta behaupteten Stickstoff-Verbrennung der Silane auf sich?
Die Silanreaktion mit Sauerstoff und Stickstoff hat Dr. Plichta bereits in seinem Buch erläutert. Sie erlauben es auch dem Laien, die chemischen Abläufe zu verstehen. Danach würden in einer heißen Brennkammer die Silane automatisch in Silizium und Wasserstoffatome zerfallen, die dann wiederum sowohl mit dem in unserer atmosphärischen Luft enthaltenen Sauerstoff (20% Luftanteil) als auch mit dem Stickstoff (chemisches Symbol: N; fast 80% Luftanteil) reagieren. Als Reaktionsprodukte etwa des siebenkettigen Heptasilans enstehen unter Zugabe von geringen Mengen reinen Siliziums Wasser (H2O) und das ungiftige Siliziumnitrid Si3N4, ein seltener kristalliner Stoff, der sich bei hohen Temperaturen verflüssigt.
Eine chemische Revolution
Für einen wissenschaftlichen Chemiker dürften die Angaben nicht ausgereicht haben, fachliche Skepsis zu überwinden. Auf seiner persönlichen Internetseite aber gibt Dr. Plichta inzwischen weitere Informationen Preis, die nun auch für Fachleute interessant sind:
„Es kommt ein chemisches Verfahren zum Zuge, das den eingespeisten Sauerstoff der Luft mit dem von der Silankette abgetrennten Wasserstoff verbrennt, sodass eine so genannte reduzierende Atmosphäre herrscht. Durch den Überschuss von H-Atomen können keine Siliziumoxide entstehen. Indem nun weiterhin im Überschuss von Silanen der gesamte eingespeiste Stickstoff zu Siliziumnitrid verbrannt wird – und zwar im Überschallbereich – beginnt der Motor gewissermaßen zu saugen, weil Siliziumnitrid nicht gasförmig ist, sondern mit dem Wasserdampf eine Art Tröpfchen-Partikel-Nebel bildet. Wegen der oben erwähnten Edelgasstruktur von Si 3N 4 hat die Verbrennung einen Implosionscharakter. Um es auf den Punkt zu bringen: Der eingespeiste Stickstoff wird nicht wie bei einem normalen Scramjet-Verfahren mit erhitzt, was die Flamme kühlen würde, sondern liefert bei der Verbrennung selbst Wärme. In dem hier geschilderten Fall wird aber der gesamte Stickstoff mit verbrannt. Dies bewirkt, dass der Stickstoff verschwindet und dafür eine große Menge von unverbranntem atomarem Wasserstoff der Silankette übrig bleibt. Diese wiederum bauen den Druck in der Überschallbrennkammer auf. Wenn diese H-Atome Molekulargewicht (Mg) = l (H 2O Mg = 18, Si 3N 4 Mg = 140) die Überschallbrennkammer verlassen und in die Lavalle-Düse eintreten, werden sie wegen ihres allergeringsten Molekulargewichtes einen enormen Geschwindigkeitszuwachs erfahren. Für den Einsatz von Hexasilan ergibt sich für die Verbrennung der 20% Sauerstoff der Luft und einem entsprechenden Stickstoffanteil die chemische Gleichung
2Si 6H 14 + 7O 2 + 8N 2 → 4Si 3N 4 + 14H 2O
Um auch den Reststicksoff zu verbrennen gilt die Gleichung
4 ½ Si 6H 14 + 18N 2 → 9Si 3N 4 + 63H
Insgesamt gilt für den Input: 6 ½ Si 6H 14 + 7O 2 + 26N 2
und für den Output: 14H 2O + 13Si 3N 4 + 63H
Um das mittlere Molekulargewicht zu berechnen, werden die Verbrennungs-produkte mit ihren Molekulargewichten aufaddiert und durch die Anzahl N=90 der entstanden Moleküle geteilt.
Das mittlere Molekulargewicht liegt dann bei etwa 23 und die Brennkammer-temperaturen bei über 3000°C, so dass ein bis heute nicht erreichter spezifischer Impuls entsteht. In einem herkömmlichen Scramjet-Brenner muss der flüssige Wasserstoff nämlich erst einmal verdampft und anschließend in seine atomare Form zerlegt werden. Anschließend wird er mit flüssigem Oxidator verbrannt. Bei der Stickstoffverbrennung hingegen wird der freiwerdende Wasserstoff unverbrannt zur Düse herausgeschossen. In dem auf den Oxidationstank verzichtet wird und auf die Kreiselpumpen steigt die Nutzlast von 3% auf über 50%. Da die Raketengleichung umgangen wird, steigt die Nutzlast auf über 75%.
Mit dem hier auf minimaler Länge dargelegtem Verfahren wird die Thermodynamik gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Jeder Raketeningenieur würde versuchen, vorhandene freie Wasserstoffatome mit Luftsauerstoff zu verbrennen. Das Geheimnis der Stickstoffverbrennung zwingt aber dazu, den Stickstoff gewissermaßen zur Wärmeproduktion einzusetzen und den extrem heißen Wasserstoff zum Antrieb zu nutzen. Hierbei werden natürlich auch die Siliziumnitridmoleküle beschleunigt. Nach dem Impulssatz werden sie wegen ihrer bis heute unvorstellbar schweren Masse ebenfalls für Schub sorgen.
Aus dem vorausgegangenen Text ergibt sich, dass das Projektil bei immer höherer Mach-Zahl immer wirkungsvoller arbeitet, wobei natürlich die Lufthülle in etwa 50 km Höhe nicht verlassen werden darf. Der beschriebene Saugeffekt hat noch eine bisher in der Raketentechnik unbekannte Schubkraft. Aus der Lavalle-Düse treten eben neben den Verbrennungsprodukten sehr große Mengen von ultraschnellem atomarem Wasserstoff aus. Während also in der Brennkammer physikalisch der Zustand einer stehenden Detonationswelle herrscht, befindet sich hinter der Rakete ein permanent voran getriebener Explosionsraum, was man chemisch mit der Formulierung „Knallgasraum“ beschreiben könnte. In wieweit diese permanente Explosionswelle für zusätzlichen Schub sorgt, kann hier nur angedeutet werden. Auf diese Weise werden Geschwindigkeiten von über 24 Mach möglich,…..“ (der Rest des Textes bezieht sich auf den von Plichta erdachten discusförmigen Flugkörper).
Wie zuvor erwähnt ist die Siliumchemie ein weites und nicht unbekanntes Feld. Auf der Suche nach billigeren Herstellungsmöglichkeiten für reines Silizium oder für effektive Schmiermittel haben Industrieunternehmen wie SEIKO oder Evonik Degussa GmbH (heute EVONIK Industries AG) in den letzten Jahren eigenständig Herstellungsverfahren für höhere Silane (auch als Hydridosilane bezeichnet) entwickelt. EVONIK etwa produziert am Standort Rheinfelden in Baden-Württemberg überwiegend Produkte der Siliziumchemie und besitzt auf diesem Gebiet rund 400 Patente. Wie ich nach etwas mühsamer Recherche herausfinden konnte, befindet sich darunter das vom Europäischen Patentamt am 23. 12. 2009 im Patentblatt 2009/52 eingetragene Patent EP 2 135 844 A1
„Verfahren zur Herstellung höherer Hydridosilane“. https://patentimages.storage.googleapis.com/a4/56/9a/ca986e6676a886/EP2135844A1.pdf
Ich habe deshalb bei EVONIK direkt angefragt, ob das Unternehmen zu der von Dr. Plichta beschriebenen Reaktion eine Aussage treffen kann. Die Antwort kam postwendend: „Ja, der Chemismus der Umsetzung der H-Silane mit N2/O2 ist soweit nachvollziehbar und ok.“
Eine zweite Chance für die Silane
Die umfangreiche Korrespondenz zwischen der Bundeswehruniversität, EVONIK, dem Unternehmen PSC Polysilanchemie GmbH, dem BDLI Bundesverband der Luft- und Raumfahrtindustrie und mir, die sich um diese Aussage rankt, möchte ich an dieser Stelle nicht wiedergeben. Das Ergebnis ist jedenfalls ein ernsthaft erneuertes Interesse an der Eignung der Silane als Raketentreibstoff bzw. an einem Forschungsprojekt dazu. Noch bestehende Skepsis bezieht sich vor allem auf die Frage, ob das Reaktionsprodukt Siliziumnitrit Triebwerksdüsen verstopfen oder Brennkammerwände verkleben könnte bzw. wie dies zu verhindern wäre. Neben Chemikern und Physikern müssten daher interdisziplinär auch Ingenieure und Triebwerkexperten in die Forschungen einbezogen werden.
Angesichts der erheblichen Mittel, die demnächst für den europäischen Green Deal zur Verfügung stehen, sollte es dafür ausreichend dotierte Fördergelder geben. Dass solche Forschungen zwanzig Jahre nach dem verunglückten Bericht im Magazin STERN nun endlich begonnen werden, das ist das Anliegen dieses Aufsatzes!
Die nächste Hürde dafür wird das Deutsche Forschungszentrum für Luft- und Raumfahrt DLR sein, das in Lampoldshausen nahe Heilbronn einen großen technischen Versuchsstand für Raketentriebwerke betreibt. Auch dort ist Dr. Plichta mit seiner Silan-Idee schon einmal abgewiesen worden, vor allem wegen der Sorge vor einer vermeintlichen Explosionsgefahr dieser damals noch unbekannten Stoffe, und weil er einfach die höheren Silane auch noch nicht in relevanter Menge herstellen konnte.
Heute könnte der Silanforschung eventuell im Wege stehen, dass das DLR sich aktuell einer anderen chemischen Substanzfamilie als möglichem neuen Treibstoff zugewandt hat, den ADN Ammonium DiNitramiden. Daran arbeitet das DLR in Zusammenarbeit mit dem ursprünglich schwedischen Unternehmen ECAPS, das 2017 an die US-Firma Bradford Space verkauft wurde. Das DLR steht dazu auch im Informationsaustausch mit der der japanischen JAXA. Eine – ich gestehe: oberflächliche – Sichtung der Literatur zum Treibstoff ADN erweckt jedoch den Eindruck, dass das tatsächlich bereits 1959 in Russland erfundene ADN kaum mehr verspricht, als das teure und hochgiftige Hydrazyn umweltfreundlicher zu ersetzen. Letztlich müssen natürlich die Fachleute entscheiden, welche Forschungsstrategie aussichtsreicher ist. Den Silanen wünsche ich jedenfalls die Chance auf einen soliden wissenschaftlichen Wettbewerb.
P.S.: Zur Interessenlage des DLR kann ich mit dem heutigen Tage (25.06.2020) bereits mehr berichten: Das DLR sandte mir die schriftliche Interessenbekundung an einem Forschungsprojekt zu Silan-basierten Raketenantrieben.
EPILOG: Peterchens Mondfahrt
Im Jahr 1912 schrieb der deutsche Schriftsteller und Naturphilosoph Gerd Bernhard von Bassewitz das Märchen „Peterchens Mondfahrt“. Darin helfen die Kinder Peter und Anneliese dem einbeinigen Maikäfer Sumsemann zum Mond zu fliegen, um von dort sein verlorengegangenes sechstes Beinchen zu holen. Das Märchen wurde noch im selben Jahr als Theaterstück für Kinder adaptiert und am Alten Theater in Leipzig uraufgeführt. Mein Vater Theodor Hollweg schlüpfte im Jahr 1959 als Schauspieler am Theater der Stadt Hagen/West. in die Rolle des Sumsemann, und meine Mutter begleitete mich damals dreijährigen Knirps in die Vorstellung. Ich war so begeistert, dass ich danach unbedingt gleich noch eine zweite Aufführung sehen und partout nicht nach Hause gehen wollte. Wütend stampfte ich auf dem Vorplatz des Theaters mit den Füßen auf und brüllte lauthals: „Ich will aber nochmal den Maikäfer Sumsebrumm sehen!“.
Zehn Jahre später betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond, zwischen 3 und 4 Uhr nachts mitteleuropäischer Zeit (genau 3:56 Uhr MEZ) . Mein Vater und ich saßen gebannt vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher, der nur flackernde Übertragungsbilder lieferte. Schon die Tage zuvor hatten wir jede Einzelheit der historischen Mondmission verfolgt.
Der Mond und ich, wir beide haben also schon ein inniges Verhältnis. In Erinnerung an Peter, Anneliese und den Sumsemann sowie in Anerkennung der Leistung des offenbar zu Unrecht verkannten Dr. Peter Plichta habe ich diesem Aufsatz daher den kindlichen Titel „Peterchens Mondfahrt“ gegeben.
Dr. Plichta hat seine Entdeckung der Eigenschaften von Silizium-wasserstoffen mit Konstruktionspatenten für einen hyperschnellen scheibenförmigen Raumkreuzer verbunden, der tatsächlich an die berühmte „Fliegende Untertasse“ erinnert. Auch einen neuartigen „Silan-Diesel-Wankelmotor“ hat er beschrieben und patentieren lassen. Wie der STERN berichtete, vertiefte sich Plichta tatsächlich auch in die mathematische Zahlentheorie. Dort glaubt er, in den Primzahlen einen „Grundcode“ für die Erscheinungen des Universums zu erkennen, der unter anderem im chemischen Periodensystem zum Ausdruck komme. Dabei geht Plichta so weit zu behaupten, dass Einsteins Vorstellung von Raum und Zeit falsch sei und dass es sogar hinter der für den Menschen sichtbaren Welt ein - mathematisch begründbares – verborgenes Universum geben müsse.
Keine dieser Erkenntnisse vermag ich zu beurteilen. Doch nachdem der naturwissenschaftlich hochgebildete Dr. Plichta offenkundig zumindest einmal eine wichtige Entdeckung machte – müsste man nicht doch auch seine anderen Vorstellungen einmal ernsthaft untersuchen?
Es dauert durchschnittlich etwa 25 Jahre, bis bahnbrechende Entdeckungen zu neuen Basistechnologien werden und praktischen Einsatz finden. In den Laboren der Wissenschaftler und den Werkstätten der Ingenieure schlummern daher atemberaubende Neuheiten. Beispielsweise berichtete das Online-Militärmagazin „The-War-Zone“ im August 2018 von einem neuen Flugkörper, der am Naval Aviation Enterprise, einer Technology-Werkstatt des US-Naval Air System Command, entwickelt worden sein soll. Es handele sich um ein Gerät, das sowohl in der Luft als auch unter Wasser operieren könne. Durch supraleitende Effekte bei Raumtemperatur verdränge es alle umgebende Materie, so dass der Flieger (oder Taucher) quasi schwerelos gleiten und unglaublich flexibel manövrieren könne. Die Erfindung erschien dem US-Patentamt so obstrus und wider alle aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft („Supraleitung bei Raumtemperatur gibt es nicht“), dass das Patent anfänglich zurückgewiesen wurde. Der Chief Technology Officer des Naval Aviation Enterprise, Dr. James Sheehy, versicherte dem Patentamt jedoch schriftlich, dass die Erfindung „operable“ sei. Der Vorgang gibt Journalisten und der Fachwelt seither Rätsel auf. Wenn nun also schon ein solches „UFO“ in den Bereich des eventuell Möglichen gerät, warum zum Beispiel nicht auch das wundersame 20.000 km/h-schnelle Raumschiff des Dr. Plichta?
Nicht erst seit der Corona-Krise hören wir gebetsmühlenartig, Deutschland müsse „innovativer“ werden. Selten erläutern die entsprechenden Besserwisser, woran sie konkret denken, - wenn sie überhaupt an etwas Bestimmtes denken. Es wird daher Zeit, dass wir dem scheinbar Unmöglichen zumindest eine echte Chance geben.
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