Eine "Glaskugel" für den finanziellen Berufserfolg von Studenten
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Von 2005 bis 2008 entwickelte die Tenman Prognosys GmbH (TPG) das weltweit erste empirisch basierte Bewertungsverfahren für den künftigen finanziellen Berufserfolg von Studenten. Dieses „Student Loan Rating“ war vor allem für die Risikoabschätzung im standardisierten Massenkreditgeschäft von Banken und Sparkassen gedacht.
Bis dahin finanzierten deutsche Kreditinstitute ein Studium nur in Einzelfällen bzw. in Zusammenarbeit mit einzelnen privaten Hochschulen. Studenten haben in der Regel weder Einkommen noch Vermögen, das als Kreditsicherheit dienen könnte. Nur eine relativ zuverlässige Gehaltsprognose für die Zeit nach dem Studium konnte das Problem lösen.
Viele vermeintliche Experten erklärten ein solches Verfahren zuvor für „unmöglich“. Tatsächlich weist das „Student Loan Rating“ mit einer Zuverlässigkeit von 87% ein weitaus höheres Konfidenzniveau auf als herkömmliche Scorings zur Bonitätsbewertung von anderen Kundengruppen.
Anders als Kritiker zunächst vermuteten beinhaltet das Rating keine Diskriminierung einzelner „exotischer“ Studienfächer. Stattdessen haben sich bestimmte persönliche Eigenschaften der Kreditnehmer als ausschlaggebend für den Erfolg in Studium und Beruf erwiesen. Entsprechend eignet sich das Student Loan Rating für die qualifizierte Kundenberatung, die Banken nach der EU-Verbraucherkreditrichtlinie zwingend vornehmen müssen.
In Verbindung mit einem Ausbildungs-Sparplan ließ sich eine Tilgungsstruktur für das Studiendarlehen konstruieren, die zu einer besonders hohen Kreditnehmer-Bonität führt. Auch Kinder aus weniger wohlhabenden Familien könnten sich damit ein sehr teures Studium leisten, z. B. an einer Privatuniversität oder im Ausland.
Die Ratings wurden als für alle Banken und Sparkassen offene Dienstleistung mit mengenbezogenen Einzelpreisen angeboten. Die Einbindung in den Kreditvergabeprozess war mit sehr geringem Aufwand ohne Probleme mit IT-Schnittstellen möglich. Auch eine Integration in die obligatorische Schufa-Abfrage war vorbereitet.
Bankpraktisch wurde das Verfahren in der Flensburger Filiale der Nord-Ostsee-Sparkasse (NOSPA) getestet. Deren Campus-Kredit war das erste Kreditangebot für Studenten an öffentlichen deutschen Hochschulen. Mit großem Nutzen für die NOSPA fand daher auch ein Nach-Rating von bereits ohne individuelle Risikoprüfung vergebenen Darlehen statt. Mit dem Schleswig-Holsteinischen Landesamt für Datenschutz, der „strengsten“ Datenschutzbehörde der 16 Bundesländer, erfolgte eine Verständigung über die Zulässigkeit der Abfrage und Speicherung der Ratingdaten.
Für Banken, die noch nicht im Retailgeschäft tätig sind, wurde zudem ein arbeitsteiliger industrieller Online-Kreditvergabeprozess in Kooperation mit weiteren Partnern entwickelt, so dass diese Kapitalgeber als „Originator“ keine eigene Vertriebsstruktur benötigten. Diese extrem kostengünstige Struktur ermöglichte es im damaligen Marktumfeld, die Zinskonditionen jedes anderen Wettbewerbers zu unterbieten, auch die Angebote der staatlichen KfW, die 2005 als staatlicher Monopolist im Retailgeschäft die Vergabe von Studiendarlehen ohne Einzelbewertung der Risiken an sich gezogen hatte. Weil die KfW rein rechtlich keine Geschäftsbank ist, sondern ein staatliches Förderinstitut, darf sie auch auf die Verbraucherberatung verzichten.
Das TPG-Verfahren sah außerdem ein wiederholtes Tracking des Studienfortschritts der Kreditnehmer vor. Dadurch ließen sich Darlehen einzelner Banken bei einem Ankäufer zentralisieren und in großen Volumina als risikoadjustierte Pakete von Knowledge-backed-securities verbriefen. Für den Kapitalmarkt hätte sich damit eine vollkommen neue Assetklasse ergeben. Große Kapitalsammelstellen äußerten ihr Interesse daran. Die diz AG hat diese Idee im Sommer 2019 erneut aufgegriffen und ihn mit dem Vorschlag für einen „neuen Generationenvertrag“ verbunden. Damit könnte das riesige Altersvorsorgevermögen der deutschen Volkswirtschaft direkt in die Qualifizierung der jungen Generation gelenkt werden.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Ratings bestand in der Bewertung einzelner Hochschulen im Hinblick auf den späteren beruflichen Erfolg ihrer Absolventen. In den USA sind ähnliche Verfahren eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Auswahl einer Hochschule als Studienort.
Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung bot die TPG an, mit einem ähnlichen empirischen Vorgehen wie bei dem Studienkrediten auch ein Verfahren für die Vergabe von Weiterbildungsdarlehen zu schaffen. Der „schwarz-gelbe“ Koalitionsvertrag versprach eine solche Finanzierungsmöglichkeit. Die KfW hatte es zuvor abgelehnt, auch noch die ungeprüften Risiken dieser Darlehensvariante auf sich zu nehmen. Als die EU-Kommission 2007 ein Finanzierungsangebot für die Studenten aller Unionsmitglieder entwickeln wollte, nahm die TPG auch den Kontakt zu den Beamten des EU-Direktorats für Bildung auf.
Für Studien- und Weiterbildungsdarlehen erwartete die TPG allein in den 15 „westlichen“ Staaten der vormaligen Europäischen Gemeinschaft innerhalb von zehn Jahren einen Markt in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro. Für einen Originator, der die Zielmärkte Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweiz avisiert, errechnete die TPG einen detaillierten Business-case und verband diese Perspektive mit einem Beteiligungsangebot als Privatplatzierung.
Trotz dieser Perspektiven blieb das Student Loan Rating erfolglos. Hauptgründe waren der monopolistische Markteintritt der KfW (den TPG für rechtswidrig hielt) und die 2008 einsetzende Finanzkrise. Daneben spielten viele andere Gründe eine Rolle, die manchmal einfach nur Pech darstellten, oftmals aber die strukturelle Schwächen des deutschen Bankwesens, des öffentlichen Dienstes, des politischen Systems und der Innovationskultur in unserem Land offenlegten. Mein persönlicher Bericht, den ich dazu im Navigationsbereich „Berufliches“ vorbereite, ist ein Lehrstück dafür.